Verkehrschaos
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Lieber Medienvertreter…

…der klassischen Medien. Also „klassisch“ im Sinne von „auf-keinen-Fall-Online“. In meiner Rolle als Blogger Onliner im Automobilbereich treffe ich Dich… Entschuldigung, die Anrede muss natürlich „Sie“ lauten. Also ich treffe Sie regelmäßig bei Fahrveranstaltungen von renommierten Fahrzeugherstellern. Wir beide haben dabei das gleiche Ansinnen: ein neues Kfz auf seine Fähigkeiten hin zu prüfen. Natürlich machen Sie das deutlich investigativer. Sie sind schließlich ein ausgebildeter Journalist, haben Medien- oder Kommunikationswissenschaften studiert, oder wenigstens einen Zollstock im Gepäck. Ich dagegen bin ja nur ein studierter Volkswirt, der aus automobiler Leidenschaft Artikel auf seinem und diversen anderen Blogs veröffentlicht. Doch mal unter uns: wenn ich Sie so in Ihrem Arbeitseifer erlebe, kann ich häufig nur fassungslos den Kopf schütteln. Warum? Darum:

Dass Sie mich stets links liegen lassen, weil ich ein Unwürdiger bin, daran habe ich mich schon lange gewöhnt. Dass Sie mich nach einer Vorstellungsrunde an einem intimen achtköpfigen Tisch jedoch komplett ausblenden, meinen Blicken aus dem Weg gehen und meine höflichen Small-Talk-Ansätze komplett ignorieren, tut mir doch ein wenig weh. OK, Sie sind ein Großer in der Branche und veröffentlichen sogar Bücher. Das kann nicht jeder Ihrer Kollegen von sich behaupten.

Doch genau für diese meist reiferen Print-Kollegen (gibt es da eigentlich einen sichtbaren Nachwuchs?) barg das Event, bei dem wir uns trafen, so einige Tücken: Nach der Begrüßung durch den Hersteller konnten Sie nicht die sonst übliche Abkürzung zum Wellness Bereich des standesgemäßen Luxushotels wählen. Diesmal stand unausweichlich die Pflicht vor der Kür: Sie mussten tatsächlich Auto fahren, denn diesmal lag das 5-Sterne-Hotel abgelegen auf einer Insel und konnte nur geschlossen in der Gruppe per Boot nach getaner Arbeit erreicht werden.

Eine Insel ohne Berge

Eine Insel

Also durfte ich erleben, wie Sie als erfahrener Print Journalist ein hochtechnisiertes Fahrzeug durch den Straßenverkehr eines südeuropäischem Landes bewegten. Und ich war – ehrlich gesagt – ein wenig erschrocken, denn das wirkte geradewegs so, als ob Sie mit der Gesamtsituation überfordert gewesen wären. Dabei fuhren wir doch alle die selbe vom freundlichen Eventmanager programmierte Route, die vorbildlich mit Google Earth Daten im virtuellen Cockpit und dem freistehenden Display angezeigt wurde und zusätzlich sogar noch im Head-up-Display per Piktogramm eingeblendet wurde? Schauen Sie etwa auch in der deutschen Heimat an einer T-Kreuzung nur nach rechts und lassen alles, was von links kommt unberücksichtigt? Dann haben Sie bisher verdammt viel Glück gehabt. So auch in dieser Situation, denn nur der beherzte Tritt einer jungen Italienerin auf das ABS-lose Bremspedal ihres Fiat Pandas verhinderte das Aufplatzen diverser Airbags (was ich übrigens bei Ihnen als gestandener Redakteur das letzte Mal live in der Eifel erleben durfte. Da war wohl das Schreibtalent größer, als das Fahrtalent. Zum Glück blieb es beim Blechschaden). Am erschreckendsten war jedoch zu beobachten, dass Sie anscheinend nicht einmal realisierten, welchem Unheil Sie gerade entronnen sind.

Ich bin daher in der Tat ein wenig enttäuscht, denn Sie haben mich doch erst letztes Jahr persönlich angezählt, weil meine Blogger Kollegen und ich Ihrer Meinung nach zu Unrecht Autos testen (eine wunderbare Aufarbeitung dieses Themas können Sie bei mojomag.de nachlesen) und jetzt erlebe ich Sie direkt vor meinen Augen an einer einfachen Vorfahrtsregel scheitern? Sorry, der einfach strukturierte Onliner denkt, dass Ihre abgelaufenen Slipper und ausgebeulten Jackets doch nur darauf beruhen, dass Sie tagein tagaus nichts anderes machen, als irgendwo in einem fremden Land ein fremdes Auto zu testen und gar keine Zeit haben, um auf Ihr Äußeres zu achten?

Wenn man nicht realisiert, welchem Unheil man gerade entronnen ist

Verkehrschaos

OK, eine kurze Unaufmerksamkeit. Kann passieren, doch was Sie sich dann im Sicherheitscheck auf dem Flughafen leisteten, toppt alles und ist weit entfernt von Unbedachtheit. Ja, ich weiß, ich war nie dabei, als die Automobilhersteller damals noch goldene Kugelschreiber verschenkten und Sie für eine Fahrzeugpräsentation zu einer einwöchigen Kreuzfahrt einluden, nur damit Sie auch zukünftig noch objektiv über die Produkte berichten können. Ich kenn diese Kultur also nicht und empfinde ein schönes Hotelzimmer nicht als Warenhaus, in dem ich auf Kosten des Herstellers die Minbar plündere, alle Badezimmer Utensilien einpacke und ein Einmachglas mit eingelegtem Käse als Geschenk des Hauses interpretiere und in meine Handgepäck stecke.

Da Sie ja auch schon länger im Geschäft sind, müsste Ihnen das doch eigentlich klar sein, dass Sie mit der Nummer nicht durchkommen. Seit dem 11.09.2001 hat sich nämlich so einiges im Luftverkehr geändert. Dass Sie trotzdem völlig verwundert sind, als der Sicherheitsbeamte bei der Nachkontrolle das oben beschriebene Glas aus Ihrer Reisetasche fischt und um eine Erklärung bittet, ist das eine. Dass Sie sich sich ob seiner Unnachgiebigkeit aber auch noch echauffieren, ist das andere. Haben Sie etwa noch nichts von den verschärften Sicherheitskontrollen in Ihrer Zeitung gelesen? Dann sollten Sie vielleicht doch mal in diesem Internetz nachschauen. Da können Sie auch nach Jahren noch nachlesen, was heute vor genau 14 Jahren geschah. Und vielleicht finden Sie auch den einen oder anderen fundierten Autotest eines Bloggers. Aber lassen Sie sich Zeit, ich möchte Sie mit den neuen Medien nicht gleich überfordern.

Nachsatz: Ja, ich habe das oben Beschriebene so erlebt. Es handelt sich dabei um Begebenheiten mit mehreren real existierende Personen. Namen werden natürlich bewußt verschwiegen. Ich sehe das nur als eine kleine zynische Aufarbeitung meiner Erlebnisse als Blogger Onliner.

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7 Antworten

  1. Ohje. Zustände wie zur Jahrtausendwende.
    Damals hieß das böse Wort allerdings nicht „Blogger“ sondern „Onlinejournalist“.

    Digitale Grüße

    Holger

  2. Ich sah mich kürzlich auch kafkaesken Tiraden eines Printjournalisten gegenüber, dem mein Blogpost oder vielmehr die Tatsache, dass nun auch Blogger zu Reisen eingeladen werden, gegen den Strich lief.

    Solche Leute sind arme Würstchen, denen die Meinungsführerschaft abhanden kommt, die ständig höherem Spardruck seitens ihres Verlages ausgesetzt sind und eigentlich nur noch Angst haben, dass sie ihren Job vor dem Rentenalter verlieren.

    Und Schuld daran sind nur diese Blogger aus dem Neuland 😉 .

    Onlinegrüße, Wolfgang

  3. Vor sechs Jahren habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht, damals als Tech-Blogger. Alle haben sich gegenseitig vorgestellt, alle von grossen Tages- und Wochenzeitungen und ich war der einzige Blogger… Du bist ein was??? Inzwischen haben sich alle an mich gewöhnt. 😉

  4. Hallo,

    sehr treffend und pointiert. Ich kann dir aber als „echter“ Journalist sagen: So behandeln die alle, mit denen sie nicht schon seit den Achtzigern zusammen saufen – war/ist bei mir nicht anders. Das regelt sich aber biologisch.

    Schöne Grüße!

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